Vernetzte Nachbarschaften – Wie verändern digitale Trends die Stadtteil- und Nachbarschaftsarbeit?
Beitrag von Nina Peretz, Paritätische Berlin, Oktober 2017:
Ein Ort, an dem sich Menschen aus der Umgebung begegnen, gemeinsam Veranstaltungen besuchen, lernen, sich austauschen, ehrenamtlich tätig sind, sich gegenseitig helfen – das ist das klassische Konzept von Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäusern. Wie verändert sich dieses Konzept in einer Zeit, in der Kommunikation immer häufiger über digitale Plattformen stattfindet? In einer Zeit, in der die Arbeitswelt durch Digitalisierung effizienter und flexibler wird – und gleichzeitig viele befürchten, dass in der „schönen neuen digitalen Welt“ wenig Platz für echte Zwischenmenschlichkeit bleibt. Dass diese Entwicklung auch Stadtteilzentren und Nachbarschaftseinrichtungen beeinflusst, deren Hauptaufgabe in der Vernetzung von Menschen liegt, steht außer Frage. Aber wie?
Digitale Kultur in Stadtteilzentren entwickeln
Einer, der sich schon lange mit der digitalisierten Nachbarschaftsarbeit beschäftigt, ist Thomas Mampel. „Im digitalen Raum unterwegs zu sein, hat bei uns im Stadtteilzentrum schon immer mit zur Kultur gehört“, sagt der Geschäftsführer des Stadtteilzentrums Steglitz. Er bloggt regelmäßig unter „Mampels Welt“, ist auf Facebook und Twitter unterwegs und digital wie analog bestens vernetzt. Als Vorsitzender des Verbands für sozial-kulturelle Arbeit, bei dem 74 Stadtteilzentren in sieben Bundesländern organisiert sind, gestaltet Mampel auch aktiv die bundesweite Nachbarschaftsarbeit mit. Im Herbst 2017 stellte die Organisation ihre Jahrestagung unter das Motto „Netze nutzen! im sozialen und im digitalen Raum“. Die etwa 130 Teilnehmenden diskutierten Chancen und Risiken der digitalen Entwicklung und ließen sich von gelungenen Projektbeispielen inspirieren. Der Grundtenor war entsprechend positiv: „Die digitalen Netze ermöglichen Begegnung, ohne sich zu treffen, sie schaffen neue Kommunikationsformen und verändern Diskurse. Digitale Kommunikation und Technik findet auch in der Stadtteilarbeit statt, denn nicht nur Nachbarn nutzen sie“, heißt es in der Tagungsdokumentation.
Wie sieht das in der Realität aus? Was ist beispielsweise mit denen, die nicht auf den Zug der Digitalisierung aufspringen wollen oder können, sei es altersbedingt oder weil sie dem Netz nicht trauen? Werden sie abgehängt? „Es kann passieren, dass man bestimmte gesellschaftliche Gruppen über digitale Kommunikation nicht erreicht. Das ist eine große Herausforderung für Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäuser, die sie mit besonderer Verantwortung angehen müssen“, sagt Barbara Rehbehn, Geschäftsführerin des Verbands für sozial-kulturelle Arbeit. Nachbarschaftseinrichtungen setzten deshalb ganz klar weiterhin auch auf analoge Informationswege: das schwarze Brett mit Plakaten, das gedruckte Programmheft und Veranstaltungsflyer zum Mitnehmen. Gleichzeitig spare man Papier ein, indem man immer mehr Informationen digital an die Nachbarschaft weitergebe. Eine Social-Media-Präsenz hätten die meisten Häuser, viele nutzten auch Nachbarschaftsplattformen wie nebenan.de.
Online-Netzwerk trifft auf Nachbarschaftshäuser
Dieses digitale Nachbarschafts-Netzwerk hat vor kurzem Stadtteilzentren als Kooperationspartner für sich entdeckt. Während sich bisher nur private Nutzer anmelden und mit ihrem Kiez in Kontakt treten konnten, sind nun auch kommunale und gemeinnützige Organisationen dort willkommen, um sich mit der Nachbarschaft zu vernetzen. Das Zusammenspiel von analogen Angeboten der Stadtteilzentren mit dem digitalen Netzwerk der Nachbarschafts-Plattform soll für alle Beteiligte gewinnbringend sein, erklärt Michael Vollmann, Geschäftsführer der gemeinnützigen nebenan.de Stiftung gGmbH. Deshalb ist nebenan.de unter anderem auf den Verband für sozial-kulturelle Arbeit zugegangen, bei dem die meisten Berliner Stadtteilzentren organisiert sind. In einem gemeinsamen Workshop wurde dann geschaut, wie man am besten zusammenkommen kann.
„Nebenan.de bietet einen direkten und leicht verständlichen Nutzen: Man kann dort tauschen, leihen, schenken, Leute kennenlernen. Da sind die komplexeren Themen von Stadtteilzentren schon schwieriger zu kommunizieren – bürgerschaftliches Engagement, das klingt für viele erst einmal nach Arbeit.” Man wolle aber weder Konkurrenz aufbauen noch bestehende Angebote ersetzen. Vielmehr sollen Menschen, die noch nie mit einem Stadtteilzentrum in Kontakt standen, durch die digitale Plattform auf analoge Angebote in der Nachbarschaft aufmerksam werden – und so ihren Weg in eine Nachbarschaftseinrichtung finden. „Wir sind ein guter Engagement-Anbahner”, sagt Vollmann. Nebenan.de soll auf keinen Fall eine weitere Online-App sein, die Menschen Lebenszeit stehle. „Wir möchten vielmehr die Schwelle senken, damit Menschen Kontakt zu ihren Nachbarn aufnehmen und mehr im echten Leben miteinander machen.” Am 25. Mai organisiert die nebenan.de Stiftung nun den „Tag der Nachbarn” und kooperiert dafür mit dem VskA, der am gleichen Tag zum Europäischen Fest der Nachbarn einlädt. Wer auf der Webseite des VskA ein Nachbarschaftsfest anmeldet, wird auf Wunsch auch auf der Projektseite www.tagdernachbarn.de aufgeführt. Das mag auf den ersten Blick verwirrend sein, ist aber wahrscheinlich dem jungen Alter der Partnerschaft geschuldet.
Mangel an Wissen und Ressourcen
Indes fehlt es in den meisten Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäusern an Zeit und Geld, um digitale Medien wirklich professionell und umfassend nutzen zu können. „Um nachhaltige digitale Anwendungen und Instrumente zu entwickeln, brauchen Nachbarschaftseinrichtungen mehr Ressourcen“, bestätigt auch Anne Jeglinski, Leiterin der Geschäftsstelle Bezirke des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin. „Gerade weil solche Prozesse nicht im Rahmen einer einmaligen Fachveranstaltung entstehen können, sondern eine nachhaltige Entwicklung und Betreuung benötigen.“ Sie schlägt eine verstärkte Förderung der digitalen Ausrichtung in der Nachbarschaftsarbeit vor. Für viele Akteure der Stadtteil- und Nachbarschaftsarbeit sei der Begriff Digitalisierung noch gleichbedeutend mit Kommunikation über Social Media. Die vielen anderen Bereiche der Digitalisierung habe man meist gar nicht im Blick, sei es die Förderung des digitalen Bürgerengagements, innovative Finanzierungskonzepte oder auch die Verlagerung sozialer Angebote in den digitalen Raum.
Dass digitale Angebote zur Konkurrenz für analoge Räume werden könnten, befürchten weder Anne Jeglinski, noch Thomas Mampel. „Gerade in der Nachbarschaftsarbeit wünschen sich die Menschen weiterhin reale Treffpunkte, an denen sie sich begegnen, diskutieren und gemeinsam Projekte umsetzen können“, so Jeglinski. Mampel sieht das zusätzliche Potenzial, das digitale Räume bieten. Wie die soziale Arbeit bisher das eigene Umfeld im Blick hatte, Bedürfnisse identifizierte und aktiv wurde, so müssten Stadtteilzentren jetzt eben auch digitale Kanäle – wie Selbsthilfegruppen auf Facebook oder Netzwerke auf Nachbarschaftsplattformen – mit beobachten. Bei Bedarf und Interesse müsse man dann aktiv werden, sich etwa als Experte einschalten oder Gruppen zu Angeboten in der Nachbarschaftseinrichtung einladen. Aufsuchende Sozialarbeit wird so einen Schritt weitergedacht – und ausgeweitet auf den digitalen Raum.
Den Prozess kann man nicht aufhalten
Auch was das viel diskutierte Thema Datenschutz angeht, hat Mampel eine klare Position: Er muss vor allem praktikabel sein. „Würden wir die Regeln ganz streng auslegen, könnten wir beispielsweise niemals WhatsApp-Gruppen für unsere Arbeit nutzen, da dort die Telefonnummern nicht verschlüsselt werden.“ Damit würden wichtige Formen der Kontaktaufnahme mit Jugendlichen wegfallen. Etwas kritischer sieht Anne Jeglinski die Erhebung und Auswertung personenbezogener Daten und die Möglichkeiten, alles und jeden online zu bewerten. „Das wird für Akteure im Sozialbereich eine zunehmende Herausforderung, der man begegnen muss“, sagt sie. „Aber die Entwicklung der Digitalisierung kann man nicht aufhalten – umso wichtiger ist es, die digitalen Möglichkeiten zu kennen und gut zu nutzen.”