Fachbeiträge
Vertreter:innen der Mitgliedsorganisationen des VskA Berlin veröffentlichen regelmäßig Fachbeiträge. Hier steht eine Auswahl zum Nachlesen zur Verfügung.
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Was eine lebendige und sorgende Nachbarschaft ausmacht, ist letztlich immer wieder neu auszuhandeln – im Stadtteil und vor allem mit den Menschen, die dort leben. Regelmäßige und vielfältige Anlässe zur Begegnung sind das A und O für die Entwicklung lebendiger Nachbarschaften. Parks, Plätze, Cafés, Bars, Nachbarschaftstreffpunkte, Schulen, Kitas – all diesen sogenannten „dritten Orten“ wird gemeinschaftsbildendes Potenzial zugeschrieben.
Viel Engagement und Eigenleistung lebendiger Nachbarschaft kommen von den Bewohner*innen selbst. Aus Sicht der Professionellen kann es nur darum gehen, Lücken zu füllen oder Unterstützung zu leisten, um gemeinsam mit den Bewohner*innen und Initiativen Wege zu mehr Nachbarschaft zu entwickeln.
In einer diverser werdenden Stadtgesellschaft müssen wir uns stets die Fragen stellen: Wer ist schon Teil der Gemeinschaft? Und welche Gruppen werden möglicherweise ausgeschlossen? Hier ist viel Achtsamkeit gefordert, das Bestehende wahrzunehmen und anzuerkennen.
Gastbeitrag auf der Fachveranstaltung
„Füreinander nah – Potentiale von nachbarschaftlicher Hilfe als Teil stadtteilnaher sozialer Infrastruktur“
Markus Runge, Geschäftsführer Nachbarschaftshaus Urbanstraße e.V.
Zentrale Frage:
Was können Netzwerke einer sorgenden Nachbarschaft leisten in Bezug auf die sozialen Herausforderungen dieser Zeit wie demografischer Wandel, Armut,…?
Weitere Fragen:
Was macht eine lebendige und sorgende Nachbarschaft aus?
Vor welchen Herausforderungen stehen wir bei der Umsetzung von gelingender Nachbarschaft in Berlin (z.B. Demografischer Wandel, Armut, Fachkräftemangel)?
Welche Ideen bzw. Lösungsansätze gibt es? Was ist dabei besonders wichtig?
Bevor ich auf die eigentliche Frage meines Inputs eingehe, was Netzwerke einer sorgenden Nachbarschaft leisten können, will ich den Blick auf Nachbarschaften richten und die aktuellen Diskurse dazu beleuchten.
Die Spannweite der Bedeutung des Begriffs Nachbarschaft reicht vom Ideal einer friedlichen, sicheren und glücklichen Gemeinschaft bis hin zur Wirklichkeit unterschiedlich starker Konfrontationen zwischen Menschen (vgl. Evans/Schahadat 2012, S. 7).
Beispiele guter und schlechter Nachbarschaft sind in der Geschichte bis heute zahlreich zu finden. Nachbarn können Vertrauen und Zugehörigkeit auslösen, aber auch Gefühle von Distanz, Fremdheit und Isolierung erzeugen. Nachbarschaft kann Unstimmigkeiten und Konflikte hervorrufen, aber auch Intimität und Nähe vermitteln.
Nachbarschaft ist ein relationaler Begriff, der in sich zwei Aspekte miteinander verknüpft: die räumliche Nähe von Wohnungen einerseits und die „Vorstellung von mehr oder weniger intensiven sozialen Nah-Beziehungen im unmittelbaren Wohnumfeld“ (Wietschorke 2012, S. 93) andererseits.
Der Nachbar im etymologischen Sinne von „nachgebure“ heißt der „nahebei Wohnende“. Nachbarschaft ist also nicht denkbar ohne räumliche Nähe, aber beschreibt zunächst nur eine soziale Gruppe, deren Mitglieder aufgrund der Wohnnähe miteinander agieren.
Häufig jedoch werden heute der Begriff der Nachbarschaft und der Gemeinschaft synonym gebraucht. Der Unterschied zwischen beiden Konzepten liegt darin, dass Nachbarschaft zunächst einmal vor allem eine räumliche Dimension hat – Nachbarschaft als Nähe. Gemeinschaft dagegen kann auch ohne räumliche Zuordnung existieren.
Nachbarschaft hat aber immer auch eine emotionale Seite. Damit aus räumlicher Nähe eine gute Nachbarschaft werden kann bedarf es sozialer Nähe! Wenn man denselben „Umständen, Nöten und Zwängen ausgesetzt und in der Bewältigung des Alltags aufeinander angewiesen ist“ (Evans/Schahadat 2012, S. 24) dann schafft das oft auch zwangsläufig soziale Nähe.
Wird Nachbarschaft nicht durch funktionale Beziehungen bestätigt, verliert sie ihre zentrale Bedeutung, ja, sie kann sogar austauschbar werden. Dann ist es egal, ob ich hier wohne oder in einem anderen Stadtteil oder gar in einer anderen Stadt.
Die so genannten Pumpennachbarschaften vom Niederrhein sind ein gutes Beispiel gegenseitiger Hilfe und Unterstützung in der Not. Ihre Wurzeln lassen sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Sie gehen auf die Zeit vor der Erschließung der Wohngebiete mit fließendem Wasser zurück.
Damals gab es pro Straßenzug oder Häusergemeinschaft eine mechanische Wasserpumpe für Trinkwasser. Vor der Bildung kommunaler Feuerwehren waren es die Pumpennachbarn, die einander bei Bränden halfen und über Eimerketten das Wasser von der Pumpe von Hand zu Hand zum Brandort transportierten. Neben der primären Aufgabe der Sicherstellung der Trinkwasser- und Löschwasserversorgung, stellte die Pumpe – wie in anderen Kulturen auch heute noch – ein soziales Zentrum dar. An der Pumpe wurden Neuigkeiten ausgetauscht und Probleme erörtert.
Für das tadellose Funktionieren dieser für alle so wichtigen Pumpe war ein sogenannter Pumpenmeister zuständig. Seine Frau betreute die Wöchnerinnen und Kranken und half bei Familienfesten. Je nach Region wurde diese Aufgabe im Jahreswechsel von Haus zu Haus weitergegeben. Die Pumpennachbarschaft stellte eine soziale Gemeinschaft für die Anwohnenden dar. Aus räumlicher Nähe wuchs viel soziale Nähe und gegenseitige Unterstützung. (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Pumpennachbarschaft; http://www.cyclopaedia.de/wiki/Pumpennachbarschaft)
Nachbarschaft bzw. die Nachbarschaften sind in den vergangenen Monaten der Pandemie besonders präsent geworden. Mehr als sonst waren wir alle, wo doch sämtliche Lebensbereiche heruntergefahren werden mussten, unserem Kiez, unserer Nachbarschaft in besonderer Weise ausgesetzt.
Aber auch schon vor der Pandemie war eine Revitalisierung von Nachbarschaft zu erleben – sowohl in der Praxis unserer Städte, in denen verschiedenste Akteure Nachbarschaft gezielt gestalten – Nachbarschaftsinitiativen, -gärten, -netzwerke (analoge und digitale) entstehen, … – als auch in der Wissenschaft, wie die Forschungen insbesondere der Hochschule Basel und vom VHW (Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung) belegen. Hier wird versucht, die Idee und das Konzept von Nachbarschaft für den heutigen Kontext aus einer theoretischen Perspektive zu klären (vgl. Oehler, P., Käser, N., Drilling, M., Schnur, O. 2017).
Zwei Bilder möchte ich gedanklich mit Ihnen teilen:
Da ist ein gesunder Baum mit vielen Ästen und Blättern und Früchten – er steht für all die Ressourcen, Chancen und Möglichkeiten, die Nachbarschaften bieten, für all die Möglichkeiten in Kontakt zu kommen, sich zu begegnen, sich gegenseitig zu unterstützen, in Gruppen und Gemeinschaften miteinander Nachbarschaft zu gestalten. Nachbarschaft kann hier als wichtige Ressource gesehen werden, die Halt, Zusammenhalt und Solidarität bietet. Nachbarschaft ist hier aus sich selbst heraus das soziale Netzwerk gegenseitiger Unterstützung und Hilfe.
Und ein zweites Bild stelle ich daneben, das Bild eines Baumes, der vom Sturm gezeichnet ist, von langer Trockenheit und zeitweiser Überflutung, bei dem Äste abgebrochen sind, dessen Rinde Wunden trägt. Dieser Baum ist bei allen Umweltbelastungen auch nicht gut gepflegt worden. Aufgrund innerer und äußerer Einflüsse konnte sich der Baum einfach nicht gut entwickeln.
Nachbarschaften sind zugleich immer zahlreichen individuellen und gesellschaftlichen Erwartungen ausgesetzt. Die einen erhoffen sich in der Großstadt mehr Anonymität als sie auf dem Lande erfahren haben, die anderen wünschen sich Kiezgefühl – also in Beziehung zu anderen in der Nachbarschaft zu sein, Nähe, Vertrautheit und Gemeinschaft zu erfahren. Gesellschaftliche Entwicklungen werfen ihre Schatten auf die Nachbarschaften, auf manche mehr, auf andere weniger – da konzentrieren sich Armut, soziale Benachteiligungen, demografische Entwicklungen besonders auf einzelne Quartiere. Und prägen diese. Viele Benachteiligungen führen nicht selten auch zu Konflikten, zu Frust, Ärger, Spannungen aber auch zu Überlastungen und Rückzug.
Zwischen diesen beiden Bildern und gegensätzlichen Polen will ich auf die Frage eingehen, was Netzwerke einer sorgenden Nachbarschaft in Bezug auf die sozialen Herausforderungen dieser Zeit leisten können.
Was macht nun eine lebendige und sorgende Nachbarschaft aus?
Was eine lebendige und sorgende Nachbarschaft ausmacht, ist letztlich immer wieder neu auszuhandeln – im Stadtteil und mit den Menschen die dort leben, ggf. auch unter Einbezug weiterer Beteiligter. Für die Professionellen bedeutet das auch, mit Ungewissheiten und Unklarheiten zu arbeiten und in „Hinblick auf Nachbarschaften deutungs- und handlungsoffen zu bleiben“ (vgl. Oehler, P., Käser, N., Drilling, M., Schnur, O. 2017).
„Kleinere und größere Krisen können als Chance für ein Zusammenwachsen der Nachbarschaft verstanden werden.“ (Üblacker 2020). Aus vielen Anlässen zur Begegnung können viele Anlässe gemeinsamen Handelns entstehen. Daraus kann wiederum ein Gemeinschaftsgefühl wachsen.
Regelmäßige und vielfältige Anlässe zur Begegnung sind das A und O für die Entwicklung lebendiger und sorgender Nachbarschaften. Parks, Plätze, Cafés, Bars, Nachbarschaftstreffpunkte, Schulen, Kitas … all diesen sogenannten „dritten Orten“ (also jenseits der Familie und des Berufes) wird gemeinschaftsbildendes Potenzial zugeschrieben (vgl. Üblacker 2020), wie die Pumpe in den früheren Pumpennachbarschaften.
Viel Engagement und Eigenleistung lebendiger und sorgender Nachbarschaft kommen von den Bewohner*innen selbst. Aus Sicht der Professionellen kann es nur darum gehen, Lücken der Nachbarschaftshilfe zu füllen oder Unterstützung zu leisten, um gemeinsam mit den Bewohner*innen und Initiativen Wege zu mehr sorgender Nachbarschaft zu entwickeln.
In einer diverser werdenden Stadtgesellschaft müssen wir uns stets die Fragen stellen: Wer ist schon Teil der Gemeinschaft? Und welche Gruppen werden möglicherweise ausgeschlossen? Hier ist viel Achtsamkeit gefordert, das Bestehende wahrzunehmen und anzuerkennen. Und behutsam an einer Überwindung von Grenzziehungsprozessen zu arbeiten (vgl. Üblacker 2020).
Vor welchen Herausforderungen stehen wir bei der Umsetzung von gelingender Nachbarschaft in Berlin (z.B. Demografischer Wandel, Armut, Fachkräftemangel)?
Berlin ist die Hauptstadt der Ein-Personen-Haushalte. In mehr als 50 % aller Wohnungen Berlin lebt nur eine Person. Familiäre Netzwerke in der Nachbarschaft sind vermutlich nicht die Regel. In Berlin wächst das Armutsgefälle, jeder 5. Mensch in Berlin ist von Armut bedroht.
Insbesondere Segregationsprozesse – soziale Segregation und demografische Segregation – können eine besondere Herausforderung darstellen, weil sich z.T. ressourcenärmere Gruppen in einer Nachbarschaft konzentrieren. Hier braucht es von professioneller Seite her möglicherweise mehr Unterstützung und mehr Begleitung im Aufbau lebendiger und sorgender Nachbarschaft. Hilfreich kann es sein, umliegende oder angrenzende Stadtteile mit ressourcenstärkerer Bevölkerung einzubinden im Sinne des Aufbaus brückenbildenden sozialen Kapitals.
Mindestens seit 15 Jahren beobachten wir quer durch die ganze Stadt Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse. Viele natürlich gewachsene Nachbarschaften wurden und werden massiv verändert. Viele Menschen wurden und werden aus ihren teilweise jahrzehntelangen nachbarschaftlichen Netzwerken verdrängt und aus dieser gewachsenen sozialen Nähe herausgerissen. Sie in ihren neuen Nachbarschaften einzubinden erscheint mir eine besondere Herausforderung. Gleichzeitig lassen diese Entwicklungen auch in den gentrifizierten Stadtteilen geschwächte Netzwerke nachbarschaftlicher Hilfe zurück, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen.
Auf den sicher kommenden Fachkräftemangel können wir m.E. vor allem durch frühzeitige Empowermentprozesse unter den Bewohner*innen in der Nachbarschaft reagieren. Selbstorganisation fördern, Menschen qualifizieren und Strukturen nachbarschaftlicher Vernetzung aufbauen halte ich diesbezüglich für ganz zentrale Schritte.
Die Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels, der sozialen Segregation und der Verdrängungsprozesse ist nur in einer engen Vernetzung vieler Akteure (freier Träger, gewerblicher Infrastruktur und der Politik und Verwaltung) möglich.
Wichtig ist es, innerhalb der Stadtteile wenn möglich alle Menschen mitzunehmen in das Nachdenken über lebendige und sorgende Nachbarschaft, auch um mehr Klarheit in der Breite zu den Vorstellungen lebendiger und sorgender Nachbarschaft zu erhalten.
Welche Ideen / Lösungsansätze gibt es? Was ist besonders wichtig?
In den ständigen Veränderungen der Zusammensetzung der Bevölkerung bleibt es zentral, die Menschen aus der Nachbarschaft permanent und kreativ in Begegnung und Austausch zu bringen.
Einige ganz unterschiedliche Wege hin zu mehr sorgender Nachbarschaft sind in den später vorgestellten Praxisbeispielen wunderbar zusammengetragen.
Wichtig erscheint mir eine große Bandbreite unterschiedlicher Formen von Nachbarschaftshilfen zu denken und zu fördern
Wichtig ist trotz der Größe der Herausforderungen anzufangen – wenn auch im Kleinen – und gute Beispiele – wie heute – öffentlich zu machen, Erfahrungen weiterzugeben und zum Nachahmen einzuladen.
Für die Organisation dieser Fachveranstaltung daher schon meine Anerkennung und meinen herzlichen Glückwunsch und „Danke“ für Ihre Aufmerksamkeit.
Quellen:
Evans, S.; Schahadat, S. (Hrsg.) (2012): Nachbarschaft, Räume, Emotionen. S.7 ff.
Oehler, P., Käser, N., Drilling, M., Schnur, O. (2017): Gemeinwesenarbeit in und mit Nachbarschaften in der Postmoderne – eine studiengeleitete Skizze. In: sozialraum.de (9) Ausgabe 1/2017. URL: https://www.sozialraum.de/gemeinwesenarbeit-in-und-mit-nachbarschaften-in-der-postmoderne.php, Datum des Zugriffs: 31.05.2021
Schubert, Dirk (2004):Die Renaissance der Nachbarschaftsidee – Eine deutsch-anglo-amerikanische Dreiecks-Planungsgeschichte. In: Ursula von Petz (Hrsg.): „Going West?“ Stadtplanung in den USA – gestern und heute. Dortmunder Beiträge zur Raumplanung Band 116, S. 129 ff.
Üblacker, J. (2020): Nachbarschaft in Krisenzeiten. In: Online Magazin der Gewobag
Wietschorke, Jens (2012): Ist Nachbarschaft planbar? Zur Geschichte eines Schlüsselkonzepts in Sozialreform, Stadtplanung und Stadtsoziologie. In: Evans, S.; Schahadat, S. (Hrsg.): Nachbarschaft, Räume, Emotionen. S. 105 ff.
http://www.cyclopaedia.de/wiki/Pumpennachbarschaft
http://de.wikipedia.org/wiki/Pumpennachbarschaft
Ein Ort, an dem sich Menschen aus der Umgebung begegnen, gemeinsam Veranstaltungen besuchen, lernen, sich austauschen, ehrenamtlich tätig sind, sich gegenseitig helfen – das ist das klassische Konzept von Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäusern. Wie verändert sich dieses Konzept in einer Zeit, in der Kommunikation immer häufiger über digitale Plattformen stattfindet? In einer Zeit, in der die Arbeitswelt durch Digitalisierung effizienter und flexibler wird – und gleichzeitig viele befürchten, dass in der „schönen neuen digitalen Welt“ wenig Platz für echte Zwischenmenschlichkeit bleibt. Dass diese Entwicklung auch Stadtteilzentren und Nachbarschaftseinrichtungen beeinflusst, deren Hauptaufgabe in der Vernetzung von Menschen liegt, steht außer Frage. Aber wie?
Digitale Kultur in Stadtteilzentren entwickeln
Einer, der sich schon lange mit der digitalisierten Nachbarschaftsarbeit beschäftigt, ist Thomas Mampel. „Im digitalen Raum unterwegs zu sein, hat bei uns im Stadtteilzentrum schon immer mit zur Kultur gehört“, sagt der Geschäftsführer des Stadtteilzentrums Steglitz. Er bloggt regelmäßig unter „Mampels Welt“, ist auf Facebook und Twitter unterwegs und digital wie analog bestens vernetzt. Als Vorsitzender des Verbands für sozial-kulturelle Arbeit, bei dem 74 Stadtteilzentren in sieben Bundesländern organisiert sind, gestaltet Mampel auch aktiv die bundesweite Nachbarschaftsarbeit mit. Im Herbst 2017 stellte die Organisation ihre Jahrestagung unter das Motto „Netze nutzen! im sozialen und im digitalen Raum“. Die etwa 130 Teilnehmenden diskutierten Chancen und Risiken der digitalen Entwicklung und ließen sich von gelungenen Projektbeispielen inspirieren. Der Grundtenor war entsprechend positiv: „Die digitalen Netze ermöglichen Begegnung, ohne sich zu treffen, sie schaffen neue Kommunikationsformen und verändern Diskurse. Digitale Kommunikation und Technik findet auch in der Stadtteilarbeit statt, denn nicht nur Nachbarn nutzen sie“, heißt es in der Tagungsdokumentation.
Wie sieht das in der Realität aus? Was ist beispielsweise mit denen, die nicht auf den Zug der Digitalisierung aufspringen wollen oder können, sei es altersbedingt oder weil sie dem Netz nicht trauen? Werden sie abgehängt? „Es kann passieren, dass man bestimmte gesellschaftliche Gruppen über digitale Kommunikation nicht erreicht. Das ist eine große Herausforderung für Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäuser, die sie mit besonderer Verantwortung angehen müssen“, sagt Barbara Rehbehn, Geschäftsführerin des Verbands für sozial-kulturelle Arbeit. Nachbarschaftseinrichtungen setzten deshalb ganz klar weiterhin auch auf analoge Informationswege: das schwarze Brett mit Plakaten, das gedruckte Programmheft und Veranstaltungsflyer zum Mitnehmen. Gleichzeitig spare man Papier ein, indem man immer mehr Informationen digital an die Nachbarschaft weitergebe. Eine Social-Media-Präsenz hätten die meisten Häuser, viele nutzten auch Nachbarschaftsplattformen wie nebenan.de.
Online-Netzwerk trifft auf Nachbarschaftshäuser
Dieses digitale Nachbarschafts-Netzwerk hat vor kurzem Stadtteilzentren als Kooperationspartner für sich entdeckt. Während sich bisher nur private Nutzer anmelden und mit ihrem Kiez in Kontakt treten konnten, sind nun auch kommunale und gemeinnützige Organisationen dort willkommen, um sich mit der Nachbarschaft zu vernetzen. Das Zusammenspiel von analogen Angeboten der Stadtteilzentren mit dem digitalen Netzwerk der Nachbarschafts-Plattform soll für alle Beteiligte gewinnbringend sein, erklärt Michael Vollmann, Geschäftsführer der gemeinnützigen nebenan.de Stiftung gGmbH. Deshalb ist nebenan.de unter anderem auf den Verband für sozial-kulturelle Arbeit zugegangen, bei dem die meisten Berliner Stadtteilzentren organisiert sind. In einem gemeinsamen Workshop wurde dann geschaut, wie man am besten zusammenkommen kann.
„Nebenan.de bietet einen direkten und leicht verständlichen Nutzen: Man kann dort tauschen, leihen, schenken, Leute kennenlernen. Da sind die komplexeren Themen von Stadtteilzentren schon schwieriger zu kommunizieren – bürgerschaftliches Engagement, das klingt für viele erst einmal nach Arbeit.” Man wolle aber weder Konkurrenz aufbauen noch bestehende Angebote ersetzen. Vielmehr sollen Menschen, die noch nie mit einem Stadtteilzentrum in Kontakt standen, durch die digitale Plattform auf analoge Angebote in der Nachbarschaft aufmerksam werden – und so ihren Weg in eine Nachbarschaftseinrichtung finden. „Wir sind ein guter Engagement-Anbahner”, sagt Vollmann. Nebenan.de soll auf keinen Fall eine weitere Online-App sein, die Menschen Lebenszeit stehle. „Wir möchten vielmehr die Schwelle senken, damit Menschen Kontakt zu ihren Nachbarn aufnehmen und mehr im echten Leben miteinander machen.” Am 25. Mai organisiert die nebenan.de Stiftung nun den „Tag der Nachbarn” und kooperiert dafür mit dem VskA, der am gleichen Tag zum Europäischen Fest der Nachbarn einlädt. Wer auf der Webseite des VskA ein Nachbarschaftsfest anmeldet, wird auf Wunsch auch auf der Projektseite www.tagdernachbarn.de aufgeführt. Das mag auf den ersten Blick verwirrend sein, ist aber wahrscheinlich dem jungen Alter der Partnerschaft geschuldet.
Mangel an Wissen und Ressourcen
Indes fehlt es in den meisten Stadtteilzentren und Nachbarschaftshäusern an Zeit und Geld, um digitale Medien wirklich professionell und umfassend nutzen zu können. „Um nachhaltige digitale Anwendungen und Instrumente zu entwickeln, brauchen Nachbarschaftseinrichtungen mehr Ressourcen“, bestätigt auch Anne Jeglinski, Leiterin der Geschäftsstelle Bezirke des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin. „Gerade weil solche Prozesse nicht im Rahmen einer einmaligen Fachveranstaltung entstehen können, sondern eine nachhaltige Entwicklung und Betreuung benötigen.“ Sie schlägt eine verstärkte Förderung der digitalen Ausrichtung in der Nachbarschaftsarbeit vor. Für viele Akteure der Stadtteil- und Nachbarschaftsarbeit sei der Begriff Digitalisierung noch gleichbedeutend mit Kommunikation über Social Media. Die vielen anderen Bereiche der Digitalisierung habe man meist gar nicht im Blick, sei es die Förderung des digitalen Bürgerengagements, innovative Finanzierungskonzepte oder auch die Verlagerung sozialer Angebote in den digitalen Raum.
Dass digitale Angebote zur Konkurrenz für analoge Räume werden könnten, befürchten weder Anne Jeglinski, noch Thomas Mampel. „Gerade in der Nachbarschaftsarbeit wünschen sich die Menschen weiterhin reale Treffpunkte, an denen sie sich begegnen, diskutieren und gemeinsam Projekte umsetzen können“, so Jeglinski. Mampel sieht das zusätzliche Potenzial, das digitale Räume bieten. Wie die soziale Arbeit bisher das eigene Umfeld im Blick hatte, Bedürfnisse identifizierte und aktiv wurde, so müssten Stadtteilzentren jetzt eben auch digitale Kanäle – wie Selbsthilfegruppen auf Facebook oder Netzwerke auf Nachbarschaftsplattformen – mit beobachten. Bei Bedarf und Interesse müsse man dann aktiv werden, sich etwa als Experte einschalten oder Gruppen zu Angeboten in der Nachbarschaftseinrichtung einladen. Aufsuchende Sozialarbeit wird so einen Schritt weitergedacht – und ausgeweitet auf den digitalen Raum.
Den Prozess kann man nicht aufhalten
Auch was das viel diskutierte Thema Datenschutz angeht, hat Mampel eine klare Position: Er muss vor allem praktikabel sein. „Würden wir die Regeln ganz streng auslegen, könnten wir beispielsweise niemals WhatsApp-Gruppen für unsere Arbeit nutzen, da dort die Telefonnummern nicht verschlüsselt werden.“ Damit würden wichtige Formen der Kontaktaufnahme mit Jugendlichen wegfallen. Etwas kritischer sieht Anne Jeglinski die Erhebung und Auswertung personenbezogener Daten und die Möglichkeiten, alles und jeden online zu bewerten. „Das wird für Akteure im Sozialbereich eine zunehmende Herausforderung, der man begegnen muss“, sagt sie. „Aber die Entwicklung der Digitalisierung kann man nicht aufhalten – umso wichtiger ist es, die digitalen Möglichkeiten zu kennen und gut zu nutzen.”